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litera[r]t
[heft 12] [dezember 2015] wien - st. wolfgang



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zikadengesänge [auszug]
Gina Mattiello


zikadengesänge

1
zwischenwände zwischen uns
zwischenhäute zwischen uns
zwischenblätter zwischen uns
zwischenflügel zwischen uns
zwischenhäuser zwischen uns
zwischenhöfe zwischen uns
zwischenrufe zwischen uns
zwischensingen zwischen uns

zugewandtes zwischen uns
zugestirntes zwischen uns
zugenähtes zwischen uns
zugebrachtes zwischen uns
zugemachtes zwischen uns
zugeknöpftes zwischen uns

2
zuflüsterungen zwischen uns
zustände zwischen uns
zuversichtlich zwischen uns
zufluchtsorte zwischen uns

nun aber genug
vom zwischen uns

1 Die Partitur der Klaviersonate Opus 90 von Ludwig van Beethoven enthält folgende Spielanweisung: Mit Lebhaftigkeit und durchaus mit Empfindung und Ausdruck.
2 Die Klaviersonate Opus 101 die Spielanweisung: Etwas lebhaft und mit der innigsten Empfindung.




(… mayröcker ...)

ich schlucke tabletten
um den schlaf zu vertreiben

die mattigkeit muss aufhören
der krieg muss aufhören
das zusehen muss aufhören

… nicht gleichgültig sein dürfen
gleichgültigsein ist tot sein …


etwas finden
das einen an die welt bindet
nicht nur worte




fuschl see

ein boot schwankend, nach links geneigt
im wasser grün (smaragdfarben)
auf grund föhrennadeln liegen (schwarz)
vom letzten jahr
bergrücken wie gekämmt
straßen durch landschaften geschnitten

:

leicht sich in idylle zu verlieren




was ich in Peschici hörte und sah

ich hörte den Schäfer Antonio von den Seelen erzählen die über dem Wind zu einem Klagegesang anstimmen einem Lamento aus Seufzern und Rufen : … ayuto ... ayuto ... ayuto …

l´ anima del vento

von Beatrice die Dante über einen schmalen Steg begleitet währenddessen vielzählige Arme und Hände nach ihm greifen Münder die schreien doch hätte er seine Hand nur nach einem ausgestreckt wäre er verloren

von schwarzen Muscheln die man von Felswänden pflückt : Früchte des Meeres

von Hunden die Ziegen jagen totbeißen nur um von ihrem Blut zu lecken in einem Landstrich wo Hunde mehr gelten als Ziegen

von Gerüchen die Tage und Nächte heimsuchen: die wilde Minze der im Wald wachsende Oregano der aus dem Fels blühende Rosmarin zwischen Olivenhaine silbrig hingestreckt über den Hügeln des Apennin

von Trabucchi erbaut von Phöniziern im Dienste der Fischer und nun verwaist an Felswänden stehend
das Meer sereno agitato animato per il vento entgeht dem Himmel nicht
(angespültes Plastik über den Strand verstreut)

Marienverehrung wohin man blickt: wie in Loretto die Frau auf ihren Knien rutscht betend den wie Rinnsal ausgehöhlten Weg entlang um das Haus von Nazareth .... schwarz das Gesicht der Marienstatue ... diese vielen Statuetten ... aus Felsenwänden geschlagene Rotunden geben ihnen Platz … im Laden der Olivenhändlerin schwebt ihr Bild über dem Portal den Eintretenden entgegen ... getragen über den Marktplatz … an einem Sonntagmorgen ...

die Schreie der Möwen wie ein Aufschreien über die Widrigkeiten des Tages oder der anbrechenden Nacht

Tuffsteinfelsen tragen Häuser ausgehöhlte Grotten dazwischen schlägt das Wasser an Felsen in einem dumpfen Ton …

an manchen Tagen bellen Hunde vielköpfig ihr Bellen endet selbst nicht im Aufbegehren der Nacht

für Carlo Pelikan




Canto II

Herzmuschel
an Felswänden haften
in den Ausläufen des Meeres

die Stimme
als wäre sie
verloren

die Leere
der Fluchtversuch
zwischen Seitenzahlen

wie die Gedanken aufrichten
wenn es aus allen Richtungen zieht
wie ein aufgespanntes Leintuch am Morgen
das schlaff am Abend an der Leine hängt




(montaigne)

gegenwärtig
der tod
hält mich

in den klauen
wieviel zeit
bleibt mir




© bei der autorin | textproben aus dem buch zikadengesänge

gina mattiello wurde in wien geboren, studierte théâtre musical - composition and theory, literarisches schreiben und gesang bei franziska baumann an der hochschule der künste bern. sie absolvierte meisterkurse am institute for living voice in belgien und bei renate weninger in wien und setzte ihre gesangsstudien bei marianne schuppe in basel fort. ihr künstlerischer fokus liegt in der auführung von zeitgenössischen texten und partituren zwischen den bereichen theater und neuer musik.
sie erhielt stipendien vom bka und dem ske-fonds. sie realisierte zahlreiche uraufführungen von komponistInnen im bereich der neuen musik und des musiktheaters. kollaborationen mit dem newtonensemble, quartett22, ensemble phace, ensemble eis u.a. 2007 initierte sie das "e_may festival für neue und elektronische musik", das sie bis 2012 co-kuratierte. eine regelmäßige zusammenarbeit verbindet sie mit dramagraz. sie ist gast bei nationalen und internationalen festivals. sie schrieb das libretto "ungeduld" basierend auf stefan zweigs "ungeduld des herzens" und jean amérys "hand an sich legen. diskurs über den freitod", das im basler gare du nord zur uraufführung gelangte.

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