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litera[r]t
[heft 12] [dezember 2015] wien - st. wolfgang



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sonette
Michael Burgholzer


okapi

ein scheues fabelwesen, traurig glimmt
sein blick, gesenkt und sanft, im regenwald
verliert sich seine spur, die mischgestalt
ist rötlich braun, das hinterteil verschwimmt

in zebrafarben, streifig abgestimmt,
die kehle, wangen, fesseln weiß bemalt,
die großen ohren regen sich, sobald
im busch bewegung ist, im passgang nimmt

das tier reißaus, wo sich sein pfad verzweigt,
versorgt es sich mit nahrung, blättern nur,
die es von bäumen rupft, dem zugeneigt,

was giftig ist, uns wider die natur,
die uns die lange, blaue zunge zeigt,
im regenwald verliert sich seine spur




riesenbärenklau

furanocumarine, kreislaufschock,
die nerven liegen blank, der neophyt
vom kaukasus ist invasiv, was blüht
und haushoch wuchert aus dem wurzelstock,

ist fies und nesselt durch den unterrock,
dem mann im schutzanzug, der gift versprüht,
gilt dank, gemach, die freude kommt verfrüht,
schon sprießen töchter, taugt als sündenbock

der zar, der metternich die vase gab
mit pflanzensamen, kaum, der wind bestellt
die freie flur, eurystheus drängt, flussab

hilft wasser, herkules, ein müder held
nach zwölf geschäften, winkt bedauernd ab,
es ist zu spät, sie scheuchen uns ins feld




formicae

der mikrokosmos flirrt, wer melkt im staat
die läuse, hackt sich blätter kurz und klein,
und häuft substrate, dringt in nester ein,
und treibt die beute in den tod, wer hat

die schönsten pilze, wer markiert den pfad
mit pheromonen, will geborgen sein
im volk, will altruistisch nie allein
sein dasein fristen, füttert dealat

im dienst der königin die larven, wer
gehorcht dem ganzen, wo er lebt und leibt,
und ködert sich erlöser von weit her,

wie wirkt das erbe, das gesetze schreibt?
still angerufen wird der große bär,
der saugend in die gänge kommt und bleibt




formosus

die gruft geleert, der leichnam wird bekleidet
mit päpstlichem gewand, hinauf geschoben
auf seinen alten thron, lehnt schweigend oben,
flankiert vom diakon, der nichts entscheidet,

weil schon entschieden ist, ihm angekreidet
wird, was der kläger will, des amts enthoben
verliert der tote den prozess, der groben
desavouierung folgt, was der erleidet,

der falsche eide schwört, zwei finger werden
ihm abgehackt, er wird verscharrt, dann später
erneut gestört, im fluss versenkt, auf erden

winkt ihm erst frieden, als die wut der täter
ihn endlich köpft, die, die sich so gebärden,
sind hintermänner, heilig sind die väter



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