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litera[r]t
[heft 15] [juli 2017] wien - st. wolfgang



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auszug aus dem gedichtzyklus
slavkovský les – grenz•zeit•land


Axel Görlach


1

ein beben läuft über den gebirgsstock
in der tiefe das bewegen von stein
& tagesnormloren, die lungen voll
radon schlagen sich bloße hände
durch das uranerz • pochen die
eingedrückten schläfen gegen stollen
wände, stoßwellen erschüttern
die stillgelegten berge • sprengen rehe
hinab über die hänge ins tal
der trommelnde bass der fliehenden
herden & ihre hufe drehen die erde


4

auf dem rand der hochebene eine reihe gestalten
grau wie fichten rufen sie mich stumm
über farbloses feld müssen meine beine gehen
immer ihnen entgegen, warum • stehen sie
dort die kälte in die erde, im rücken
den abgrund des kohlenbeckens & haben keine
gesichter, lauter wird das dröhnen
der fördermaschinen aus der tiefe jagt ihr atem
kohlenstaub & flugeissplitter in die körper
die sich krümmen, fliehen, einen
erkenne ich wieder, er bewegt sich jünger als ich
ihn anrufe mit meinem namen, explodiert er
lautlos • schwarzes schneetreiben
in dem ich mich verliere & immer wieder seither
sehe ich unter dämmernden fichten angst
kauern – wie sie sich häutet, mir ähnlich wird


5

haar & blut unter der buche das geöffnete
tier aus der höhle • des leibes schlagen
rippen bögen in den herbst
auf denen die farben ins innere wanderten
mit ihren blättern der tod, das licht
durchwucherte tier lasse ich zurück
in meinem rücken • trifft sein bernsteinblick
meine augen, als könnte ich es übergehen


6

eisenkreuze lehnen aneinander
manchen gänzlich entwurzelten fehlt ein arm
der in den himmel zeigt, mit dem anderen
rosten sie in den schlamm
die inschrift ausgewittert steht
ein verfallendes grabmal schief • von der seite
stützt es mit seinem sandstein
körper ein engel, er hat seine flügel
abgelegt am fuß des bauschutthügels, lange
bevor er mich kommen hörte
& so leer ist sein zerstoßenes gesicht, dass
er es in den händen birgt
die ich ihm leihe für einen augenblick • sinkt
das silberblau der flechten
von seinem haar in meine finger, wie zeit
los ist die endlichkeit, in der wir uns verstehen


8

wie kleiderfetzen hängen flechten tief
im dickicht • höre ich schritte
einbrechen im harsch, es sind nicht meine
schnee fällt & vögel singen um ihr leben
frisst sich der frost in zwölf frauen
die laufen, soweit der rest atem reicht
splitterndes holz, schüsse, ihre echos hallen
den wald leer & aufgescharrt ist das eis
graue erdreich, in das sich eine hand krallt
sie ähnelt einer wurzel, der ich ausweiche
als die bäume der schatten verschwinden
stehe ich auf dunkler lichtung
in einem kreis aus zwölf granitblöcken –
warm sind sie & tragen steinhäufchen
namen vielleicht • kann ich einen entziffern
mit meinem finger, über dem in der luft
die jagdaugen eines trupps libellen stehen


9

nebelbänke & sümpfe schweben im zerrbild des
morgens • fahllicht, das schräg zugvögel
durchschlägt, ein sühnekreuz
sucht sich eine neue haut aus moos & geht
in den bestand der wälder ein
die angeschneiten bunker sinken
durch das warme pilzgeflecht im boden, es trägt
das welken von schnee & beton zu den birken
stämmen, die das skelett sind
des moors & leuchten • grenzgängern den weg



© beim autor | Erstveröffentlichung in "Konzepte – Zeitschrift für Literatur" | Nr. 35 | 2016

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