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[heft 15] [juli 2017] wien - st. wolfgang



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Musik & Film

Barbara Deißenberger


Das mit Alex und mir geht schon über zwei Monate. Ein Wunder – so bald nach der Geschichte mit Jadran. Wenn Papa wüsste… Vor Männern wie Jadran wollte er mich immer fern halten. Aber was heißt schon: wie Jadran. Jadran gibt’s nur einmal. Gottseidank war er mein erster und nicht Jacopo oder Oliver. Alles Kinder gegen Jadran: keine Ahnung von Frauen… pah! Wie sagt Carrie in Sex & the City von diesem Typ: der treibt Selbstbefriedigung, bloß mit einer Frau dazu. Mit Jadran war das anders. Selbst wenn er mich beiläufig um die Hüfte fasste, war da diese Traurigkeit, die ich nie ganz begriff und die sich anfühlte, wie Beethovens Cellosonate Nr. 3 in A-Dur. Wegen dieser Traurigkeit war Jadrans Sehnsucht nach mir etwas Besonderes. Sicher, man wusste nie, ob er zu einem Treffen erschien. In der serbischen Bar, wo er arbeitete, bin ich nur einmal gewesen. Das war, als ich ihn kennen lernte. Weil Katja gemeint hatte, ich müsste auch mal zu anderer Musik abhängen. Der Barmann… was für ein Klischee! Aber ich hatte nicht mit diesen Augen gerechnet. Stumm schüttelte er den Kopf, als Katia ein drittes Glas Rakia bestellte. Sie tat entrüstet, stieg dann aber wie ich auf Ginger Ale um. Die Musik war nicht schlecht, auch wenn sie aus der Konserve kam. Viel Akkordeon und eine Frauenstimme, die im Rhythmus des Beat auf- und abschwang. Ich fragte den Barmann nach dem Namen der Gruppe, damit er mich wieder mit seinen Augen ansah. Wir kamen ins Gespräch. Bevor ich mit Katja das Lokal verließ, nahm er mich in eine Whatsapp-group zu Balkanmusik auf. Jadran. Mit ihm war alles Musik. Gut, mein erstes Mal mit ihm war nicht gerade Dvorak in B-Minor, aber vielleicht Boccherini. Ich hätte unserer Resonanzfrequenz nicht trauen sollen. Sein Mund auf der Stelle hinter meinem Ohr, seine Hände um mich gelegt, als könnte er nie wieder von mir lassen. Eines Nachmittags gestand er mir, er sei verheiratet: eine Frau und ein dreijähriger Sohn warteten in Valjevo auf die Möglichkeit der Zuwanderung durch Familienzusammen¬führung. Ich war geschockt. Was hatte ich getan? Kannte ich Jadran überhaupt? Wir haben uns nur noch einmal gesehen. Er wollte mich Cello spielen hören und berührte mich nicht mehr.

Und jetzt: Alex. Alex aus der zwölften Klasse. Wegen der Olive. Beim Schulball war er beim Buffet vor mir angestellt und am Tisch auf dem Teller lagen die pikanten Spießchen. "Mmmh," habe ich gemurmelt, "Oliven," da hat er sich umgedreht und mir eine aufgespießte schwarze Frucht direkt vor den Mund gehalten. Halb zum Spaß hab’ ich ihn wirklich aufgemacht, dann: der salzige Geschmack auf der Zunge und Alexanders schwarze Augen, die mich ansahen. Dabei ist er zu angepasst. Kein Wunder, bei der Mutter. Wie die einen anschauen kann. "Mama glaubt immer noch, alles von mir zu wissen," hat Alex einmal gesagt. Das kenne ich doch von wo. Nur, dass Alex sich nicht wehrt. Mein Rückzugsort ist die Musik. Seiner könnte höchstens… aber das wäre so oberflächlich! Normalerweise ist es ein sicheres Zeichen, wenn Papa einen Burschen "nett" findet, dass es nicht lang zwischen uns läuft. Auch deshalb sind die über zwei Monate mit Alex ein Wunder. Unsere Beziehung hat sogar seine Besuche bei meinen Eltern und meine Besuche bei seinen Eltern überstanden. Das mit dem Essen war unangenehm. Ich krieg’ doch nichts hinunter, wenn mir jemand zuschaut. Und wie sie beim ersten Besuch gefragt hat: "Du spielst also Cello?" Mit einem Gesichtsausdruck als hätte sie sich nach ansteckendem Hautausschlag erkundigt… Was hat sie bloß gegen mich? Wobei, beim zweiten Besuch war sie so übertrieben fürsorglich. Das Herumputzen an mir nach dem Missgeschick mit der Spaghettisauce: urpeinlich.

Wo mit Jadran alles Musik war, kommen mit Alex Bilder ins Spiel. Er kennt schöne Plätze im Wald. Wo man allein sein kann. Sobald wir nackt sind und ich die Augen schließe, haben wir aber Gesellschaft. Leonardo di Caprio, Rupert Grint, Orlando Bloom und Robert Pattinson beobachten uns genau. Alex Hand auf meinem Oberkörper – Robert Pattinson nickt und seine Zähne blitzen, Alex Mund – hier kommt kurz die Olive ins Spiel, oh Alex…, ich drücke ihn fest an mich – Orlando Bloom zwinkert mir zu – mein Gott, wir auf dem Waldboden, Alex’ Jacke unter meinem Po, damit mich die Ameisen nicht zwicken. "Expelliarmus!" ruft Rupert Grint als Ron Weasley und sieht genau, wie meine Hand an Alexander herumzaubert. Leonardo di Caprio kreist in einem Flieger über uns – wir sind zwei weiß verschlungene Linien im Grün – Alex! Jetzt kommt er und da – nein! was ist das – steht auf einmal seine Mutter und schaut auch zu. Ich kann nicht, Hilfe! – kann nicht kommen, wenn sie uns dabei zusieht. Alex hält mein erschrockenes Keuchen für den Höhepunkt, ich führe seine Hand zurück, konzentriere mich wieder auf… ja! – jetzt: Orlando spannt als Legolas einen Pfeil in den Bogen und schießt diese Mutter einfach über den Haufen. Sie sinkt zu Boden, ich komme. Alex küsst mich. "Mein Schatz," flüstert er, "hier draußen ist es, als wären du und ich ganz allein auf der Welt." Ich lächle, antworte nichts und denke: er sollte nicht so viel ins Kino mit mir gehen.



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