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litera[r]t
[heft 16] [september 2018] wien - st. wolfgang



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Everything can be important.1

Ulrike Ulrich


Die Frau sitzt nur da und sagt nichts. Schaut auf ihre Unterlagen, als wäre sie allein, als stünde niemand vor ihrem Tisch. Ist es an mir, etwas zu sagen (mich hinzusetzen)? Was soll ich sagen, in dieser Sprache, die nicht meine eigene ist. "Your name, please?", sagt sie plötzlich. Natürlich. Natürlich mein Name. Den sage ich laut. Aber sie schreibt nicht mit, schaut bloss weiter auf das Papier, und hebt dann den Blick, nicht den Kopf. "Could you please spell that." Und ich nicke, sage langsam einen Buchstaben nach dem anderen. Wie wenn man einem Kind eine Sprache beibringt. Und jetzt schreibt sie auch mit. Aber ich sehe auf dem Kopf, dass sie ein L vergisst, dass ein L fehlt in meinem Namen. Soll ich das sagen? Wird es sie wütend machen, dass ich mitgelesen habe, dass ich sie korrigiere? Ist das L wichtig? (Und hätte ich doch Papiere, dann könnte sie davon abschreiben). "Your date and place of birth?" Zu spät. Jetzt habe ich den Moment verpasst, sage die Zahlen, den Ort. Und sie schreibt, schreibt alles richtig. Und dann hebt sie den Kopf, zum ersten Mal, schaut mir ins Gesicht, irgendwie aufmunternd. Und fragt nach der Flucht. Wie es genau war. Exactly. Und dass ich einfach erzählen solle. Everything can be important.

Ich sage, dass ich schweizerisch-deutsche Doppelbürgerin war, bis ich mich 2018 entscheiden musste, und dass ich damals unglücklicherweise auf den EU-Pass gesetzt habe. Sie runzelt die Stirn. So jung ist sie auch nicht. Sie muss doch noch die EU kennen. Oder fragt sie sich bloss, wie ich auf diese schmelzende Eisscholle springen konnte. Aber sie als Schottin? Die Schotten waren doch bis zum Schluss dabei. "Why didn't you go back to Switzerland?" – "Impossible", sage ich. Weiss sie nicht, dass die Schweiz seit 2034 nicht mal mehr Flüchtlinge aus Frankreich und Österreich aufnimmt, geschweige denn Deutsche, die ihren Schweizerpass zurückgegeben haben. "What's your occupation?", fragt sie plötzlich. "I am a writer." Sie lächelt. "What do you write?" – "Fiction." Sie lächelt noch mehr. "I've always wanted to write a book", sagt sie. In Deutschland und den anderen Staaten der Alternativ-Rechten Liga reagiert niemand mehr so auf meinen Beruf. Ich sage lächelnd, dass sie das ja immer noch tun kann. Ich nicht mehr. Nicht in Deutschland. "And how was your journey?" Klingt wie Hotelrezeption. Bedeutet jedoch: Sind Sie aus England nach Schottland gekommen? Die EU gibt's nicht mehr, aber das Konzept vom sicheren Drittland lebt weiter. "Mrs Urich, how did you get here?", fragt sie nochmals. "By boat." Und das stimmt ja auch. Bloss bin ich in England gelandet. Wenn sie mich dorthin z urückschicken, hab ich keine Chance. Die Anerkennungsquote geht dort gegen 0. "By boat from Germany." – "No fiction, please, Mrs Urich", sagt sie. Und ich sage: "Ulrich. My name is Ulrich."


1 Der erste Teil des Textes war der Ausgangspunkt für einen Schreibwettbewerb zum Thema «Migration», organisiert vom DAAD in London. Teilnehmende sollten ein Ende zu diesem ersten Teil schreiben. Der zweite Teil ist mein eigenes Ende, das ich erst Monate später geschrieben habe. Beide Teile durften nicht mehr als 250 Wörter umfassen.



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