Logo Verlag z
e
i
t
s
c
h
r
i
f
t

f
ü
r

l
i
t
e
r
a
t
u
r





litera[r]t
[heft 1] [jänner 2011] wien - st. wolfgang



blättern [zurück] [weiter]
[zeitschriftenindex]
Ausgewählte Briefe von Elisabeth Freundlich
zusammengestellt von Raimund Bahr


Elisabeth Freundlich an Jaques Freundlich
New York, 23. Juli 1941
Lieber Pappi,
danke Dir sehr schön für Deinen Geburtstagsbrief und die 100$, die ich sehr gut gebrauchen kann.
Es tut mir sehr leid, daß Du eine Bemerkung über Dich, in einem an Mutti gerichteten Brief gelesen hast. Der Brief war nicht für Dich bestimmt, aber auch so, war die Bemerkung überflüssig. Aber worauf sie sich bezog, weißt du natürlich ganz gut: jedenfalls hab ich nie bestritten, daß Du versucht hast, mit Erfolg, uns die Sorgen fernzuhalten, jede Sorge, wie Du sogar schreibst, was natürlich weder Deine Aufgabe war, noch in Deinen Möglichkeiten lag. Ich habe nie bestritten, daß Du durch Deine Fähigkeiten, ein behagliches Leben schaffen konntest, an dem wir alle in gleichem Maß Anteil hatten. Das war gewiß sehr angenehm. Es erfordert aber ebenso wenig Dankbarkeit, wie es zu Vorwürfen berechtigen würde, wenn Du uns dieses Leben nicht hättest bieten können. Daß Du nicht freudig überrascht bist, daß ich Schulden mache, versteh ich: ich kann Dir sagen, daß die Leute bei denen ich sie mache, ebenso überrascht sind darüber, daß ich sie machen muß.
Auch ich wünsche Mutti ein erträgliches Einvernehmen. Ich habe einen großen Schock erlebt, als die Illusion zerrissen wurde, daß ich noch ein Kind bin, daß vertrauensvoll zu seinem Vater kommen kann, wenn es Sorgen hat. Heut weiß ich – mein Fehler, daß ich es nicht seit Jahren weiß – daß ich eine alte Kuh bin, die sich ihr Leben ganz allein bauen muß. Die Illusion ist vorbei, mein großes Erstaunen im Schwinden und dann werde ich wohl jene konventionelle Vater-Kind Beziehung herstellen können, wie sie üblich ist und die Dir sicher genügt, sonst wären ja andere Möglichkeiten gewesen. Ich bin in meiner heutigen Seelenverfassung schon ganz zuversichtlich sie im Zeichen des häuslichen Friedens herstellen zu können.
Nochmals vielen Dank und alles Gute
Deine Liesl


Elisabeth Freundlich an Josph Kalmer [Beppo]
Wien, 6. März 1956, Spitalgasse 17/21

Und was das auf eigenen Füssen stehen angeht, so zeigen Sie mir erst mal die, die ohne backing von irgendeiner Seite, und unter ununterbrochenem Haxl gestellt bekommen, sich nach fünf Jahren allein erhält; und zehn Jahre in Amerika nicht nur sich allein erhalten hat. Also gar so untüchtig bin ich wieder nicht. […]
Und warum freuen Sie sich, dass ich an eine neue Übersetzung gehen muss. Wo ich doch viel lieber den Roman schrübe? Aber ich werde mit meinem ausführlichen Exposé doch vorher fertig, ätsch! Bin genau so weit gekommen, wie ich im äussersten Fall gehofft hatte in den zwei Monaten kommen zu können.
Ich bin ziemlich baff, dass Sie Ende dieses Monats kommen wollen. So was! Wahrscheinlich werden Sie dann wieder dreieinhalb mal telefonieren und eineinhalb mal mich auf zwei Minuten sehen. Und dabei ist seit ein paar Tagen direkt Vorfrühling und ich wünsche mir, einmal mit Ihnen nach Neuwaldegg zu fahren und richtig spazieren zu gehen und gar nicht von Geschäften zu reden und nur zu blödeln. Aber Sie werden schon wieder einmal, das für eine ungeheure Zumutung erklären und machen, als hätte ich Ihnen vorgeschlagen, den Kilimandscharo zu ersteigen.
Also jedenfalls werde ich es Ihnen schwer machen, unausstehlich zu sein und werde sanft und blöde wie ein Täubchen sein, was Sie dann nicht keppeln nennen. Passen Sie auf, wie langweilig ich dann bin.


Elisabeth Freundlich an Hans Mayer
Wien, 25.September 1963, Spitalgasse 17/21

[…] Nun, man wird sehen, was aus allem wird, es wäre jedenfalls wunderbar, wenn Sie im November herkämen, wir brauchen hier dringend ein bißchen Auftriebe, aber ganz abgesehen davon, würde es mich privatim ganz besonders freuen.
Die schönen Tage in Genf sind mir unvergesslich, ich hoffe sehr auf eine baldige Wiederbegegnung da oder dort. Nächste Woche ist hier Premiere von Brechts Baal. Es wäre fein, wenn ich das dann mit Ihnen noch einmal sehen könnte.
An tritschtratsch habe ich gehört, daß Golo Mann gern nach Frankfurt an die Uni gegangen wäre, daß ihm das aber Adorno vermasselt hätte. Nun, Sie werden die Geschichte wohl besser kennen. – Bruno Frei liegt noch immer in Gips und hat ausserdem troubles, weil er beschuldigt wird zu „chinesisch“ zu sein. Auf meine Frage, wie er Ihren Fall in seinem Blatt zu kommentieren gedenke, sagte er „gar nicht“. ich fürchte Huppert wird ihm schon ein sauberes Artikelchen aufzwingen, mal sehen.
Die „Frankfurter Hefte“ wollen nun meinen Aufsatz über Hintergründe Ihres Fortgehens aus Leipzig bringen, leider erst im November. An der Verzögerung bin ich selbst schuld, weil ich zuerst versuchte in Tageszeitungen damit hineinzukommen. Aber vielleicht ist es ganz gut so und der Aufsatz dann neuerlich aktuell, wenn sie im Oktober an so verschiedenen Stellen der Bundesrepublik gesprochen haben werden.


Elisabeth Freundlich an Dolf Michaelis und Eva Michaelis-Stern
Wien, 8. April 1963

Liebstes Everl, lieber Dolf,
habe wohl lange nichts von mir hören lassen, es gibt immer so viel Arbeit, zumal Wien zur Zeit ein wichtiger und interessanter Boden ist. Dieser Brief ist an Euch beide gerichtet, weil ich gern von Euch beiden wissen möchte, was Ihr zu einer höchst peinlichen Angelegenheit meint, respektive, was von Euch dort getan wurde oder getan werden kann, um das Ärgste zu verhindern.
Ihr ahnt gewiss schon, was ich meine, nämlich Hannah Arendts „Eichmann in Jerusalem“, eine sogenannte Reportage, die in Fortsetzungen im „New Yorker“ erschienen ist, demnächst in Buchform bei Viking Press, N.Y. herauskommen soll, oder schon herausgekommen ist, und was noch viel schlimmer ist, auch in Deutschland bei Piper kommen soll. Günther, Charlotte und ich sind über diese Publikation völlig niedergeschmettert. Günther kann sich da aus begreiflichen Gründen natürlich nicht einmischen, aber ich gedenke alle mir zur Verfügung stehenden Hebel in Bewegung zu setzen. Habt Ihrs gelesen, könnt Ihrs begreifen? Die Vorwürfe gegen das israelische Gericht und Eure Regierung liegen natürlich ausser meiner Kompetenz, nichtsdestoweniger wüsste ich gern, was man bei Euch darüber denkt. Angeblich soll das Buch auch in Israel herauskommen. Aber die Vorwürfe gegen die Judenräte, die eigentlich schuld an allem sind, wären, wenn das Buch in Deutschland herauskommt, ein entsetzlicher Schaden. Seht Ihr eine Möglichkeit die deutsche Ausgabe zu verhindern? Ich mobilisiere alle noch vorhandenen deutsch-jüdischen Kreise. Behandelt bitte vorerst meine Einstellung in der Sache persönlich vertraulich, man muss sich erst überlegen, welche Schritte man unternehmen kann.
Die sehr zurückhaltenden Angriffe gegen H.A. im New Yorker „Aufbau“ habt ihr gewiss gesehen, begreiflicherweise wäre der „Aufbau“ lieber stolz auf eine so bedeutende Schriftstellerin, die die Verfasserin zweifellos ist. Aber das ist eine rein moralische Frage und in dieser handelt sie eben einfach farbenblind.
Ich denke, daß vielleicht auch das Leo Baeck Institut, dessen Vorstand Dolf doch angehört, etwas unterenehmen könnte, vielleicht auch Eva Reichmann in London.
Ich hoffe, es geht Euch allen dreien gut und Ihr seid wohlauf und munter. Allerdings gibt es für Euch zur Zeit ja auch genügend andere Anlässe um sich aufzuregen.
Ich hoffe, Ihr kommt wieder einmal nach Europa und man bekommt Euch alle zu sehen, ich würde mich sehr, sehr freuen.
Alles Liebe der ganzen Familie und bitte lasst mich Eure Meinung und die allgemeine Stimmung zu dieser Sache wissen.
Sehr, sehr herzlich
Eure


Elisabeth Freundlich an Ernst Bloch
Wien, 6.7.1965

Lieber und verehrter Professor Bloch,
nun steht also, unfassbar für alle, die Sie kennen, Ihr achtzigster Geburtstag unmittelbar bevor und Berufene werden Ihnen sagen, welche bleibenden Spuren Ihr grosses Werk in der Geschichte der Philosophie hinterlassen hat. Die das Glück hatten und haben Ihre Schüler zu sein, werden sich in Mengen einstellen.
Was bleibt mir, die ich zu Ihren kürzesten und flüchtigsten Bekanntschaften gehöre, da zu sagen noch übrig? Erst einmal darf ich wohl auch Glück und Gesundheit und Arbeitskraft wünschen und ein ad multos annos, verehrter Mann, für Sie und für alle, die je mit Ihnen in Berührung kamen.
Darüber hinaus ist es aber vielleicht bei so einmaligem Anlass doch auch gestattet, die durch Respekt gebotene Distanz zu mißachten, und Ihnen zu sagen, wie sehr ich mich beglückwünsche, Ihnen so spät (spät für mich) begegnet zu sein. Die Tage in Florenz und auch die in Wien erfüllen mich noch ganz und geben meinem Leben einen nicht erwarteten Aufschwung. Daß es Sie „gibt“, daß die Hoffnung besteht, Ihnen wiederzubegegenen, dazu beglückwünsche ich mich nicht nur an Ihrem Geburtstag.
Unser gemeinsamer Gang in die spanische Kapelle in Florenz ist mir unvergesslich. Und weil Sie mir damals sagten, daß jene Allegorie, die Sie mir so wunderbar erklärten, einmal über Ihrem Schreibtisch hing, habe ich als winziges Zeichen meines Gedenkens eine Vergrösserung davon an Sie geschickt. Ich weiß nicht, ob Sie Lust haben, diese Photographie nochmals über Ihrem Schreibtisch zu sehen. Wenn ja, hoffe ich auf diese listige Weise gelegentlich auch an mich dadurch zu erinnern. Ist aber keine Gelegenheit, in Ihrer jetzigen Wohnung das Photo aufzuhängen, so ist es vielleicht doch ganz hübsch, sich das gelegentlich aus einer Mappe hervorzuholen.
Wenn Sie es mir gestatten, vereehrter Mann, so umarme ich Sie zu Ihrem Geburtstag mit liebevoll zärtlichem Respekt und mit der ganzen Wärme meines Herzens.
Immer Ihre


Elisabeth Freundlich an Hans Mayer
Wien, 23. November 1971

Lieber Hans, das war aber schön, einmal so ausführlich von Dir zu hören. Und so schön getippt. Du bist wirklich hochbegabt. Für gewöhnlich brauche ich eine Woche, um deine Handschrift zu entziffern. (…)
Deine Pläne Deine Ferien in Wien zu verbringen, habe ich mit grosser Freude zur Kenntnis genommen. Ja, im Jänner, wie wir hier sagen, bin ich natürlich hier, da ist ja zumeist Theater Hochbetrieb, und ich hoffe, wir werden dann viel zusammen ins Theater gehen. Also grosse Vorfreude, und Du wirst ja viel zu erzählen habe.
Noch etwas: ich weiss, dass du in Amerika das Geld nur so scheffelst, aber zwei Wochen in Wien im Hotel ist vielleicht nicht ganz das Richtige, auch für einen Globetrotter wie Dich. Möchtest Du nicht bei mir wohnen? Du bist herzlich willkommen, kriegst einen Wohnungsschlüssel und bist frei zu kommen und zu gehen, wie du willst. Allerdings sehr viel Service gibt es nicht. Meine Putzfrau kommt nur sehr selten. Ich bin bereit für Frühstück zu sorgen, und der Eisschrank steht mit Wurst und Käse für einen Snack zur Verfügung. Aber für Kochen und Einholen reicht bei mir zusätzlich zur laufenden Arbeit einfach nicht die Zeit, es gibt hier herum ganz gute Lokale. Und natürlich gelegentlich werde ich mich vielleicht doch aufschwingen. Überlegs Dir. Vielleicht erinnerst Du Dich an die Anlage der Wohnung und dass Du im letzten – schönsten – Erkerzimmer wirklich ganz ungestört wärest.


Elisabeth Freundlich an Robert Neumann
Wien, 6. Januar 1971

Entschuldigung für mein langes Schweigen habe ich eigentlich nicht, denn die kaum zu bewältigenden Stapel von Arbeit und Korrespondenz ist ja leider ein chronischer Zustand geworden. Bei dem einen kommt dabei nur eben etwas mehr heraus (nämlich bei Ihnen) als bei dem anderen (bei mir). Einziger mildernder Umstand nur, dass es für Damen meines Alters eben keine männliche Helga gibt, die da gelegentlich Ordnung schafft. Andererseits gibt es gute Freunde aller Altersklassen genug, nur eben keine für „Schreibarbeiten“. […]
Mir geht es soweit recht gut, und wenn es, toi, toi, so noch eine Weile bleibt, bin ich ganz zufrieden. Dass man nicht jünger wird, merkt man u.a. leider auch daran, dass sich der Freundes- und Bekanntenkreis zu lichten beginnt. Es gab ja allerhand Krankheits- und Todesfälle, die ihre Schatten werfen. Na ja. […]
Ich sitze nun neuerdings täglich von 8-1 Uhr im Archiv des Landesgerichts und studiere die Akten. Wäre ich 25, wüsste ich, dass mir Zeit meines Lebens Stoff nicht mehr ausgehen wird. So aber ist das Problem möglichst zeitökonomisch umzugehen, und sich nicht allzusehr zu vertiefen. Ich hätte ein bisschen Geld für Fotokopien zur Verfügung und habe auch die Bewilligung dazu (was endlose Scherereien machte, oh du lieber Amtsschimmel!), aber gerade das was man brauchen würde, ist zumeist in einem Zustand, dass eine Ablichte nicht genügen würde und ich vieles einfach mit der Hand abschreiben muss. Vielleicht finde ich im Laufe der Zeit eine bessere Arbeitsmethode. Die Reiseangelengenheit zieht sich auch, obwohl bei der Gesandtschaft und bei der öster.-sowjet. Gesellschaft alles geordnet ist. Diesen Monat fährt jemand hin, der verspricht, mit einem definitiven Bescheid zurück kommen zu wollen. Nun so jung bin ich nicht, dass ich bei der selbst hier siebirischen Kälte jetzt dort hin möchte. Falls es doch noch dazu kommen sollte, will ich nicht vor Frühjahr, falls dort bis dahin nicht alle Juden… usw. […]
Ich sehen mich nach dem Tessin, Hauptsächlich Euretwegen versteht sich, aber ein bißchen auch wegen der Temperatur. Die Kälte hier ist scheusslich und man versinkt mitten in der Stadt in tiefen Schneehaufen.


Elisabeth Freundlich an Karola Bloch
Wien, 23. März 1976

Liebste Karola,
wahrhaftig, eben wollte ich mich hinsetzen, um Dir zu schreiben, weil ich schon so lange nichts von Euch gehört hatte, da kam Dein Brief. Tausend Dank. Ich gratuliere zum Eintreffen des Enkels. Hoffentlich wirst Du ihn bald besichtigen können. Natürlich ist es schade, dass den Eltern die ersten Freuden mit dem Neugeborenen ein wenig getrübt sind durch die Begleitumstände der Geburt. Aber es scheint ja, dass alles rasch wieder zum Guten gewendet wurde, und die Fama sagt, das Kaiserschnittkinder besonders schöne Babies sind.
Beglückt bin ich, zu hören, dass Ernst in gutem Zustand ist und unverdrossen weiter arbeitet. Wir alle müssen dafür zu tiefst dankbar sein, ich kann Dir nicht sagen, wie es meinem Dasein Richtung und Sinn gibt, ihn in seinem Arbeitszimmer, das so deutlich vor mir steht, beim Diktat und im Gespräch mit Schmidt zu wissen. Auch dass Ernst einmal kurz an seinem Schreibtisch sass, ist mir ständig gegenwärtig, wenn ich an der Arbeit bin. – Vitaminspritzen wirken sehr belebend, dass weiss ich auch. Müdigkeit hat gewiss auch mit dem ungewöhnlich harten und langen Winter zu tun, und bald wird Ernst gewiss wieder auf Eurem hübschen Balkon sitzen können. Der Frühling wird auch seine gute Wirkung tun. Vorläufig allerdings gibt es, bei uns jedenfalls, Schneegestöber zum Frühjahrsbeginn.
Dass Ernsts Bücher im vergangenen Jahr glänzend gingen, ist doch eine wunderbare Ermutigung für uns alle. Wir brauchen sie aber auch, wo es doch in der Welt so scheusslich zugeht. Und da hilft es zu wissen, dass das Gute sich eben durchsetzt. Und das Experimentum Mundi als das wichtigste Buch neben Prinzip Hoffnung gewertet wird, freut mich ganz besonders. Mir kam dieser Gedanke auch beim Lesen, aber ich traue mir darüber kein Urteil zu und würde es nie äussern. „Meinen“ Thomas Münzer lasse ich mir aber dadurch in keinem Fall nehmen, er war der erste Eindruck von Ernst auf mich und die Seligkeit über dieses Buch hat mich eigentlich nie verlassen. […]
Günther [Anders] hat sich über Deinen Brief sehr gefreut, er wird Dir gewiss selbst schreiben. Glücklich kann er natürlich nicht sein, da er seit Jahren nicht mehr arbeiten kann. Ich kann das einfach nicht begreifen. Aber er hat nach den beiden Schocks, die ihn so kurz hintereinander trafen, erst Charlottes Fortgang, dann Hannah Arendts Tod, durch den ihm seine ganze Jugend wieder lebendig wurde, doch zu einem einigermassen erträglichen Lebensrythmus finden lassen. Körperlich ist er sogar gesünder als früher, da die ständigen Aufregungen mit Charlotte seine Gesundheit angriffen. Er liest viel und systematisch.
So, das wärs für heute, ich darf gar nicht auf meinen Schreibtisch schauen, was sich da alles anhäuft an unerledigten Sachen.
Ich umarme Euch zärtlichst und voll Sehnsucht
Eure


Elisabeth Freundlich an Ursula Michels Wenz
Wien 1. Oktober 1983

Liebste Frau Michels,
was für ein reizender Gedanke von Ihnen mir zunächst Ihren kleinen Reisebericht zu schicken, gleichsam als Vorankündigung eines persönlichen Briefes, der dann so warmherzig und persönlich ausfiel, dass einem das Herz im Leibe lachte.
Ich kenne Bremen gar nicht, bin aber dort schon öfters mit eigenen Sendungen im Rundfunk wie mit Sendungen über mich zu Wort gekommen.
Aus eigener Erfahrung weiss ich, wie zeitraubend und schwierig es ist, eine solche Ehrung, wie die für Hausmann zustande zu bringen. Ich habe Ähnliches häufig in der Emigration, in Paris und in New York gemacht. An den Schriftsteller Hausmann habe ich nur ganz dunkle Erinnerungen „Lampion küsst kleine Mädchen“ erinnere ich mich undeutlich und „Abel mit der Mundharmonika“, Jugendbewegung, die so leicht in Nationalsozialismus umkippte: Abel mit der Mundharmonika verschmilzt für mich – wahrscheinlich ganz zu Unrecht – mit Hitlerjunge Quecks (oder ähnlich); es war ein Schock für mich als die Titelrolle ein junger Schauspieler spielte, der bei mir verkehrt hatte. Die finsteren Zeiten stecken mir und meiner Generation noch in den Knochen.
Wie liebevoll dann Ihr Brief zwischen Küchenarbeit und Schreibtisch. Jetzt weiss ich auch, wie sie wohnen, und was das Haus an zusätzlicher Belastung schafft. Irgendwie hatte ich Sie mir mit Ihrer Familie immer in einem Einfamilienhaus und nicht in einem Zinshaus mit vielen Parteien vorgestellt. Wenn Sie aber am Ende auch noch Hausverwalter sein müssen, fände ich das ziemlich arg, denn ich weiss von unserer Verwaltung, was das für nie endende Scherereien macht.[…]
Ich habe allerhand Probleme mit Schreibdispositionen. Ich weiss nicht, ob ich Ihnen von dem historischen Sachbuch sprach (über die Nazibesetzung in Polen von 1939-44), das für Suhrkamp in keinem Fall in Frage gekommen wäre. Nun habe ich es endlich angebracht, bei unserem grössten und wohl auch angesehensten Verlag (der sich aber nicht für literarische Prosa interessiert. D.h. ich soll das Manuskript (450 Seiten) nochmals durchsehen, einige unwesentliche Änderungen, resp. Erweiterungen machen, mit denen ich durchaus einverstanden bin und es bis Ende 1984 druckfertig machen, damit es – hoffentlich – 1985 erscheinen kann. Das bedeutet, da auch andere Verpflichtungen laufen, ich zu meiner „eigentlichen“ Arbeit, der Autobiographie monatelang nicht kommen werde. Das bedrückt mich.
Was machen Anjas kleine, grossen Sorgen? Hat sie sich sehr verändert?
Genug geshwatzt. Auch ein bisschen Spass und nicht nur Arbeit in schlechter Luft bei der Buchmesse.
Ich umarme Sie in grosser Herzlichkeit
Ihre

Logo Verlag ein projekt [ag literatur]
blättern [zurück] [weiter]
[zeitschriftenindex]