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litera[r]t
[heft 4] [dezember 2011] wien - st. wolfgang



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Mein Bruder Kain - Mein Bruder Abel4
Erika Danneberg


Weil wir gerade von Fischen sprechen – wollt ihr welche? Draußen neben dem Brunnen, steht ein ganzer Eimer voll – frisch gefangen. Du gehst sie holen, Mädchen? Das ist gut. Ich kann’s schon vetragen, daß jüngere Leute mir die Arbeit abnehmen. – Sie ist ein gutes Mädchen – fast so gut wie du“, hat Abel zu mir über Lilith gesagt, die damals schon alt war und weise dazu. – Ich müßte euch jetzt wohl endlich von Lilith erzählen. Aber wo will ich beginnen – meine Geshichten geraten mir durcheinander. Das liegt nicht am Wein – du kannst mir ruhig nachschenken, mein Großer. – Du bist deinem Vater sehr ähnlich, weißt du das? Eben jetzt, wie du den Krug gehoben hast – dieselbe Geste, dieselben Hände wie Kain. Du brauchst nicht zu erschrecken – es ist keien Schande, eurem Vater ähnlich zu sehen. Wenn ihr wüßtet, wie er ausgesehen hat, als wir jung waren!

Nein, ich bin nicht betrunken. Ich hatte nur fast schon vergessen, wie gegenwärtig die vergangenen Dinge werden, wenn man sie ausspricht. Mich wunderts nicht mehr, daß Kain davor Angst hatte.

Ich habe seit Liliths Tod zu niemandem mehr über all das gesprochen. Wer zu mir kommt, erwartet, daß ich zuhöre – so wie Abel und ich von Lilith erwartet haben, daß sie uns zuhört. Sie war für uns nichts weiter als Spiegel und Echom – ein tiefer Brunnen, der unsere Worte und unser Bild in sich aufnimmt und uns deutloicher zeigt, wer wir sind. Daß sie auch ein eigenes Leben hat, eigene Freunde und eigenen Schmerz, das verstand ich erst viel später, als sie um den toten Abel weinte.

Euer Vater hat Abel und mich für unsere Gespräche mit Lilith immer ein wenig verachtet. er, der der Sprache so mächtig ist, mißtraut dem Sprechen. Er hält sein Schweigen für männliche Stärke – aber ich glaube manchmal, es verbirgt viel eher die krankhafte Angst, sich zu erkenen und erkannt zu werden. Vielleicht hätte auch ich nie zu Lilith gesprochen, wenn Kain mir zugehört und mir geholfen hätte, wo meien Kraft nicht mehr ausreichte. Aber Kain fürchtete, das könnte auch über seine Kraft gehen.

So habe ich Schweigen und zuhören gelernt seit Liliths Tod.

Doch ich wollte euch von Lilith erzählen.

[kain und abel3 | september 2011]
anlässlich des 90. geburtstags von erika danneberg plant die edition art science die publikation des gesamten textes in einem erzählband. vorraussichtlicher erscheinungstermin märz 2012.

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