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[heft 5] [märz 2012] wien - st. wolfgang



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Aphoristischer Splitterkuchen
Peter Hodina


Für Raimund Bahr zum Fünfzigsten

Von den Merseburger Zaubersprüchen an zehn Bände einer Anthologie deutscher Lyrik und dann begegnest du dem, der als Vorletzter darin, doch schon wieder vor 20 Jahren, und er sagt, du verstopfst ihm seine Tonne mit deiner entsorgten Lyrik.

Wer eine tolle Vergangenheit glaubt zu haben stößt auf jemanden, der noch nie eine tolle Vergangenheit gehabt hat und erklärt ihm die Zukunft auch noch zusätzlich.

Dorthin – autobiography-shifting – in seiner Biographie zurückkehren, wo sich am meisten Wachstum versprach, die tollsten Blüten getrieben hatten und vielleicht noch treiben, und das tote Gehölz wegsägen. Da mag man dann gegebenenfalls vom Zwölfjährigen aus die Lustfäden weiterspinnen. Hauptsache, es lebt!

Vollkommen rein und in Bügelfalten in Serie zu gehen, irgendeine Lichtquelle anzubeten, die man sich nur einbildet, hat die Ästhetik von Hospizheimen. Egal, ob bei Abd-ru-shin oder Scientology. Diese Sterilität macht krank, lässt ersterben. Tonkassetten, sich moralisch aufzurüsten, Manikürset-Behältnisse mit der Zeugen-Jehova-Bibel darin... Und auch, sosehr ich seine Bücher mag, die Jünger Anagarika Govindas sehen aus wie weiße Papierlampions, einer wie der andere. Das kann nicht der Weisheit letzter Schluss sein: diese Weißheit.

Der schwarze Kater schleckt sich niemals, um ein weißer Kater zu werden oder gar, um sich das Geschlecht wegzuschlecken – zumeist ist er eh kastriert –, und zur LICHTKATZE im Energiesparmodus sich umzurüsten.

Jedesmal, wenn ich gerade ganz knapp in die Weinbergschnecke nicht hineintrete, fühle ich mich schon als Wohltäter. Das gibt zwar MIR Auftrieb, die Schnecke verbleibt indes zitternd, da soeben der volle Kelch an ihr vorbeigegangen, vorerst im Gehäuse. Damit kein anderer hineintrete, werfe ich sie meist noch zusätzlich in eine Halbwegswildnis.

Angeblich gibt es eine Verdienstmedaille in Österreich, die aus Anstand nicht vergeben wird: eine bronzene. So, ich glaube, 15. Klasse. Genau die begehre ich. Orden für Personen, die sich nicht formen lassen. Legt einen Zahlschein bei, ich zahle auch!

"Freibeweglich seien die Köpfe!", so der spätere Guillotinierer.

Er stamme von den vorletzten Zaren ab... Wir alle von Affen. Worauf können wir uns stützen? Auf das Ältere, auf das Neuere? Oder nur und immer letztlich aufs Jetzt?

Die Säule des Jetzt entpuppte sich als aus Schaumgummi. Als ich mich auf sie stützen wollte, gab sie nach. Ich knickte nicht mit, der Körper besann sich reflexhaft. "Jetzt!"

Die 'Selbstbetrachtungen' des Mark Aurel... Was hätte Caesar dazu gesagt, wären Neros dunkle Leidenschaften davon besänftigt worden?

Die Stoppuhr im Wald verloren, als man herauskommt, ist das 22. Jahrhundert.

Giftgrüne Bücher, grauer undefinierbarer Himmel, hellgelbe Klebezettel, die Hosen der Einöde.

Manchem Treiben muss man Inhalt gebieten.

"Wir haben uns noch nicht", sagt Bloch. – "Ich HABE Bloch längst", so sein Gegner, in dem sich Bloch aber immer mehr abbaute.

Der sich einen Schatz fürs Himmelreich Ansparende wird durch den Schlüssel, mit dem er ihn versperrte, in die Tiefe gezogen.

"Ich beiße nicht", beteuerte der Menschenschlucker.

"Mehrzählen!" rief die mir im Traum zu, während ihre Romane und Dramen beängstigend in die Höhe wuchsen, mir, wie mir schien, "zufleiß", und ich mir vorkam wie ein in Aphorismen zerhackter Wurm. Interessanterweise pudelwohlst sofort nach dem Aufwachen.

"Ach schrecklich, seit die Kritik schreibt, du seiest die neue Virginia Woolf, weiß ich überhaupt nicht mehr, wie ich mit dir umgehen soll!"

Die für den Roman wohl erforderliche geradezu soziologische Durchgestaltung der Figuren, was man mit dem lebensabstrakten Tangentialstil nicht recht hinkriegen wird. Wo die Tangente auftrifft, fliegen die Funken, aber das Feuer, gar die alles erwärmende und wiederbelebende Sonne bleibt aus.

Wie oft kann geschichtlich über eine Generation gesagt werden: "Sie begannen gut – und endeten schlecht", und andererseits wie selten: "Sie begannen schlecht – und endeten gut. Sie wurden stetig besser. Je älter, desto jünger."

Aus dem Heiligenschein seines Potenzials in den Körper der Wirklichkeit treten und den Schatten übler Nachrede werfen.

Mehr unter die richtigen Leute zu gehen bedeutet weniger sich falsch zusammenzunehmen.

Faulheit ist Schaffens-Trance-Vermeidung.

Als ich das an der Wand zur Zierde hängende Messer des ehemaligen HJ-Jungen aus der Scheide zog, musste ich auf der Klinge folgenden eingravierten Satz in Frakturschrift lesen: "Sein statt scheinen". Daraufhin besann ich mich auf den Wert der Inauthentizität.

Wenn wirklich nichts mehr geht und die Weltzahnräder den Beschluss zur Mobilisierung für den Dritten Weltkrieg fassen, könnte irgendsoeine globale Piratenbewegung diesen Beschluss zerlatschen und dann auf einmal sagen: "Ihr Opas, so geht das alles nicht mehr!"

Der elektronische Kauknochen. Er leuchtet, wenn er bellt.

Jedesmal wenn ich mich bewege, macht sich der Bewegungsmelder bemerkbar. Ich bewege mich nicht mehr und LAUERE. Auf einmal macht der Bewegungsmelder eine unvorsichtige Bewegungsmeldung. Ich habe die Maschinerie bei ihrer Subjektivität objektiv ertappt.

"Ich habe mich selbst als Dichter anerkannt", schrieb Rimbaud seinem Lehrer Izambard (im Mai 1871).

Ich habe noch nie jemals ein anderes als ein verbotenes Buch gelesen. Aus dem Blickwinkel und Wertungsscheinwerfer irgendeiner der mich gleichzeitig unterschiedlich und oft entgegengesetzt überlagernden und taxierenden Autoritäten auf dem Spielfeld des Wertepluralismus war, ganz egal was ich las, es von irgendeiner Seite her "verboten". So wurde das Lesen zur Sucht, da es die Möglichkeit mir bot, mich in eine Schuld zu verstricken, die derart ineinandergewickelt ist, dass ich nur mehr ein Kauspielzeug für den Leviathan bin, der dieses mit der Schnauze aber sogar desinteressiert wegstößt. Ich habe niemals von nichts gelassen.

Als ich Heidegger endlich erreichte, hatte ich meine Altgriechischbrocken vergessen gehabt. Und soff dann nachts aus dem von Celan bedichteten Brunnen. Heidegger zog die Vorhänge zu. Da ging ich weg. Am Feldweg-Rand.

Dass ich mich nunmehr schnäuze (statt wie früher: schneuze), hat mich dem Tierreich nähergerückt. Vertierungszwang durch Rechtschreibreform.

Beobachtung, dass gewisse Träume wiederkehren, bis ich sie endlich notiert habe. Dieser eine von letzter Nacht (15.1.2012), bevor ich ihn ganz vergesse. Ich gehe nachts, ja haste, um endlich heimzukommen, durch die Linzer Gasse in Salzburg und möchte durch den Kapuzinerbergtunnel gehen, der übrigens nie gebaut worden ist und auch dort, wo ich meinen Weg diagonal abkürzen möchte, auch niemals projektiert war. Auf einmal stehe ich an. Ein schwarzer Samtvorhang ist dort nur, ich tauche hinein. Ist dort eine Menschenansammlung, sitzend, wie zu einer Andacht. Es handelt sich sozusagen um eine Kapelle. Alle tragen Anzüge und haben ein Namenskärtchen angesteckt. Doch ist dort kein Altar und kein Priester spricht irgendetwas vor. Es handle sich angeblich um "die Armen von Salzburg" (sie wirken aber kleidungsmäßig gar nicht recht arm, aber vielleicht ist es ihr einziger "Sonntagsstaat", den sie anhaben). Es ist eine stumme Meditation. Erst als sie aufbrechen, höre ich, dass sie ihre Gebetsaktivität gegen die Frankfurter Schule richten... Das scheint mir wahrhaft ein armseligstes Ansinnen. Es roch übrigens nach abgestandenem Weihwasser. Schnell nahm ich – und alleine – den Weg zurück ins Freie und musste so wie immer, ohne Abkürzung, nach Hause trotten. Für einen Moment, als ich durch den schwarzen Samtvorhang tauchte, hatte ich das Gefühl von "Heimeligkeit", Geborgenheit. "Sieh an, eine Verschwörung!", dachte ich sogar mit einer gewissen Sympathie. Doch es war nur und nichts als eine schwarze Sackgasse.

Die Inschrift auf dem Grabstein des Psychoanalytikers Paul Federn lautet: "Er hat den Sinn geliebt / Und den Wahn begriffen / Und so manche Seele / Dem Wahnsinn entrissen." – Für einen dilettantischen Besser- und Alles-am-Besten-Wisser gälte hingegen, was ich nun dichte: "Er hat den Sinn monopolisiert / Und seinen Wahn nicht begriffen / Und so manche Seele / In seinen Wahnsinn hineingerissen."

Das Idyll unter der alten Linde mag „falsches Bewusstsein“ sein – die Säge, die es zerstört, ist kein wahreres.

Wenn die Natur es so eingerichtet hätte, dass man im Schlaf nicht sterben könnte, wäre das Wachsein das allergrößte Wagnis. Wer zu lange wachte, wäre schier tollkühn. Während die sekuren Schnecken sich in die Häuser ihres Schlafes einrollten und die Tore mit Schmalz, Speichel und Schleim verschlössen.

Vor einigen Jahren sahen wir vom Küchenfenster auf einen weiter entfernten, begrünten Hinterhof hinunter, wo, wie es uns, meinem Mitbewohner und mir, schien, dass eine Sekte dort immer mehr um sich greife und wieder einmal eine Party veranstalte, um neue "Opfer" zu ködern. Sie grillten, einige lagerten im Gras, auch sehr Schwarzgekleidete waren dabei… Misstrauisch verfolgten wir das ganze bzw. warfen doch von Zeit zu Zeit wieder einen Blick da hinunter. Darauf achtend jedoch, von denen andererseits bei unserem Sie-Ausspähen selber nicht gesehen zu werden. „So – und jetzt hat eine Frau sogar ein ganz furchtbares SATANSZEICHEN gemacht, jetzt reicht es. Zu MIR herauf, weil sie mich gesehen hat.“ Ich wollte zudem ein solches Zeichen auf dem Umschlag eines alten alchemistischen Buches von John Dee gesehen haben, suchte das Buch aus dem Regal des Mitbewohners, fand es und sagte: „Ja, genau das! Das hat sie vorhin gemacht, mich bannend? Mich verfluchend?!“ – Später stellte sich heraus, dass es sich nicht um eine Sekte, sondern um eine GEBÄRDENSCHULE bei denen drüben handelte… Vielleicht war es eine Einladung an uns: „Kommt doch auch herunter zum Hoffest!“ – So verzerrt Paranoia den Blick.


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