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litera[r]t
[heft 6] [juni 2012] wien - st. wolfgang



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zwölf mal zwölf
Raimund Bahr


49|96

bei den landfremden
schlummert ein trächtiges weib
über einem alles nährenden gewässer
dort wo das uferlose land
tief hinabreicht in die zeit
als die menschen noch rechtgläubig waren

einer der letzten der kriegerischen riesen
setzte seinen samen in ihren willigen schoß
und ruhte wenige friedfertige tage
an ihren steinernen und wollüstigen brüsten
die sich gegen den himmel pressten
bereit die welt mit ihrer mutterschaft zu sättigen

am achten tag verließ der brünstige krieger
das glutwarme sommerlager im ersten dämmerlicht
um in einer letzten schlacht den rechten glauben
sein und ihr schicksal zu bewahren
so ließ er ihre weichen schenkel im tal zurück
und starb in der fremde einen fruchtlosen tod

nach einem gewaltigen bodenlosen schlaf
erhob sich das wuchernde urgestein
schüttelte ab den falschen glauben der menschen
der seit jahr und tag glockengleich
narben in ihre aufgedunsene flanke schlug
und hielt ausschau nach dem schroffen riesen

sie sah die einsamkeit unter den landfremden
und spürte die drängende frucht in ihrem leib
hockte sich über das verängstigte tal
und gebar unter einer flut von tränen
aus fels und stein und erde



57|88

fremdheit bedeckt dich immer noch
und besteigt dich hart bei nacht
und du hältst stand wie in deinen kindertagen

als jemand vor deiner türe auf und ab schlich
du allein im haus voll angst in dich verkrochen
nach hilfe schrein war ja nicht erlaubt

mir blieben nur deine wirren augen
die abweisend auf mich blickten

als wäre meine freundlichkeit
für dich das schleichen an der tür



62|83

ich hab alles gesehen
den suk von marrakesch
den blick vom fin del mundo
die pyramiden von teotihuacan

ich habe alles genossen
den duft des oleanders
den makellosen leib der aphrodite
den geschmack von buenos aires

aber nichts war
wie deine weichen flanken
deine schenkelbeugen
deine duftend warme haut

tag für tag
stund um stund



56|89

in der erinnerung
sind deine brüste schwer
und mein haar schmiegt sich
in den schmalen grad
der offen liegt
für mich

in der erinnerung
sind deine schenkel weich
und deine furchen warm
aus denen feucht und duftend
deine sehnsucht aufsteigt
allein für mich

in der erinnerung
sind deine lippen zart
und ihre form ein schwur
wie der kelch der tulpe
die im erblühen schon
vom ende kündet



© beim autor | textproben aus dem buch zwölf mal zwölf


raimund bahr wurde 1962 in mödling (nö) geboren. studium der geschichte an der universität wien. promotion 1992. studium der germanistik an der universität salzburg. biographische arbeiten zu herbert zand, marie langer, elisabeth freundlich, erika danneberg und günther anders.
publikationen auswahl
einander zwei. erzählung. 2009.
kaltes land. lyrik der gegenwart. band 6. 2010.
kleingeschrieben. journal. 2010.



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