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[heft 7] [oktober 2012] wien - st. wolfgang



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Freak oder Frack ist ja einerlei. Über ein kleines Sonderlingsproblem.
Peter Hodina


Der Lyriker Tom Sch., den ich 1996 in Berlin kennengelernt hatte, nennt mich – obwohl wir uns dazwischen doch Jahre nicht sahen – nach wie vor einen "Sonderling" (welchen Eindruck er damals als ersten und bleibenden Eindruck von mir mitnahm). Ich musste ihm energisch, fast barsch widersprechen. In der Rolle des Sonderlings sehe ich mich nicht, auch nicht des "Freaks".

Was meinte Tom, der sich allmählich als Autor etabliert, mit "Sonderling"? Wohl, dass ich ewig zum Abseitsstehen verurteilt sein werde, als – vielleicht liebenswerte, vielleicht etwas schrullige – Kümmerpflanze an der Peripherie der großen Tiere der Literatur. Er wünscht mir wahrscheinlich diese naserümpfige Rolle an, glaubt mich in ihr sicher- und auch stillgestellt. "Außenseiter" klingt schärfer als "Sonderling": dem Außenseiter eignet ein aggressiveres Profil, er ist aber auch mehr angefeindet, während der kauzige Sonderling hoffen darf, halbwegs geduldet zu werden – und darf es auch nicht wirklich hoffen, denn wir leben nicht im Biedermeier.

Soll ich beleidigt sein auf den Tom? Bin es nicht, obwohl ich gegen ihn, als er es vor mehr als einem halben Jahr wieder sagte, aufbrauste – und zwar aufbrauste wegen der Gedankenlosigkeit, mit der er mich, ohne mich wirklich ausreichend zu kennen, ein für allemal einordnete; denn es sind viele Jahre vergangen und auch damals kannte er von mir ja kaum etwas. Meint er es äußerlich, dass ich das Gehabe eines Sonderlings hätte? Diese gewisse Ungeselligkeit – die ja auch wieder nicht zutrifft, nicht grundsätzlich eine ist. Womöglich liegt es auch an der dialektalen Färbung meines Redens… An der Art zu seufzen, mich zu räuspern, von mir manchmal auch künstlich verstärkt. Aber nun habe ich mir beim Poeten Tom für alle Ewigkeit den Titel eines "Sonderlings" eingehandelt, verdammt!

Ich möchte Tom etwas replizieren, bloß skizzenhaft: er ist für mich der Mensch mit den zu dunklen Augen. Und zwar letztlich kein Glanz, sondern etwas Festnagelnd-Deprimierendes dabei (gar nicht so leicht diese Augen und ihre Wirkung auf mich zu beschreiben; ich wollte schon schreiben: "etwas Stumpfes oder Mattes, dabei NACHDRÜCKLICHES in diesem Blick", das ist es aber nicht genau, hängt aber damit zusammen)… Ich sage nur, wenn ich jemand sehe, der einen ähnlichen Blick hat, er habe "Augen wie Tom Sch.". Zuerst sucht man darin eine Tiefe, eine BELEBENDE Magie, dann aber sieht man ziemlich bald, dass dieser Blick zu viel will, vom Gegenüber, nicht selber tief ist (seine Tiefe, ob vorhanden oder nicht, verbirgt), dass dieser Blick mit einer gewissen INTRANSIGENZ sogar in die Tiefe des anderen einzudringen sucht, ihm seine Transzendenz benehmend… Jedoch nicht hypnotisch, nicht ganz unangenehm, ein TEIL dieser Aufmerksamkeit ist auch liebend, aber nur ein TEIL – es gibt wahrhaft unangenehmere Augen! Eine gesammelte matte Schwärze, halbstumpfe Schwärze, glanzlos, ist auch etwas wie Forderung darin oder auch etwas von Selbstverständlichkeit (ich glaube, Tom hat ein größeres Arsenal in sich gefestigter "Selbstverständlichkeiten" auf Lager) – ja. Wäre er der Erwachsenere?

Während in der Begegnung mit mir man hauptsächlich hoffentlich auf eine Aufgeräumtheit stößt, etwas Reflexives, aber letztlich vielleicht von der Sache Ablenkendes, Schwere Wegnehmendes. Wäre dieses Tomsche Dunkel ein Wein, müsste ich sagen, dass mir persönlich dieser Wein nicht mundet, dass er mich nicht positiv belebt. Eine Resignation darin auch, wie ich sie von Peter M. auch, aber anders kenne. Ein Blick, dem selber das Schelmische nicht eignet, der aber das Schelmische im anderen sogleich aufspürt, den Schelm in ihm, aber als Unmoralität, nicht konspirativ, nicht ihn ermunternd, nicht konvivial einer Schelmerei zu zweit sich hingebend, auf dass beiden Seiten leichter ums Herz wäre. Tom – der Ernstere; an der Oberfläche Ernstere, sogleich hast du den Rückschläger seines Ernstes; mein Ernst liegt anderswo, ich komme immer erst gerade von meinem Ernst, um mich dann – und darin bin ich auf einmal klar gesellig – davon im Gespräch zu erholen. Von mir geht man wenig verstört weg; das macht mich aber zu einer Zivilperson und keinem Sonderling. Nein, Sonderling bin ich keiner. Und auch keinen Freak trage ich vor mir her. Freak oder Frack ist ja einerlei.

Es mag tendenziell stimmen, dass ich ein Sonderlingsproblem habe, das ist aber inzwischen mehr und mehr ein Problem für mich. Der als Kind vom großen Bruder Gepiesackte – diese Hackordnung geht einem in Fleisch und Blut über, gewisse Abwehrreaktionen merkt man dir an, sie sind Überbleibsel einer Schiefgewickeltheit von Anfang an. Es gibt mittlerweile viele Leute, die an mir beim besten Willen keinen Sonderling entdecken können, das Wort "Sonderling" fällt ihnen zu mir nicht ein. Vielleicht riechen sie es einfach nicht, haben das Sensorium nicht dafür, wittern das Sonderlingsproblem nicht mehr heraus. Friedrich Dürrenmatt erzählte, am Schulweg als Kind oft sekkiert worden zu sein. Auch Hans Henny Jahnn wurde in eine Sonderlingsrolle gedrängt, weil er sich individuell, anders als die anderen verhielt. Aber das betrifft doch nur die Heranwachsensbedingungen, die Einwickelungen, aus denen man sich dann heraus entwickelt.

Ich darf mir denken, dass einer ein "Sonderling" ist, aber es ist indiskret, es zu ihm zu sagen. Außerdem habe ich noch nie das Wort "Sonderling" bei mir gegen jemanden gebraucht. Dazu bin ich nicht entsprechend in einer bürgerlichen Einstellung zu den Dingen und Menschen gefestigt. Wenn ich "Sonderling" sage, geschieht es höchstens ganz behelfsmäßig, bloß provisorisch. Dient nicht zur Abklassifizierung. Ich denke dann an germanistische Bücher wie Der Sonderling in der deutschen Literatur, eventuell auch an Kierkegaard und das Gespött, das seine Erscheinung bei den Spießern von Kopenhagen auf sich zog. Der Sonderling gehört hauptsächlich dem 19. und dem 18. Jahrhundert an; das Wort "Sonderling" selber ist sonderbar. Es spielt heute, sofern überhaupt noch in Gebrauch, auf etwas wie "leicht geistesgestört" an, jedenfalls nicht seriös, übergehenswert. – Nach dem Wörterbuch der Gebrüder Grimm ist "Sonderling" eindeutig pejorativ, war auch eine Bezeichnung für die sich angeblich "absondernden" Juden.

Vielleicht hatte Tom mit mir auch nur das Problem, dass ich das Seine bisher zu wenig beachtet hatte – um mit den Worten aus Schillers Don Carlos zu sprechen: "ich bin erschöpft – all´ meine Proben gleiten von diesem schlangengleichen Sonderling" (2, 8).


© beim autor

peter hodina ist 1963 in salzburg geboren. veröffentlichte zahlreiche beiträge in literaturzeitschriften, anthologien, im hörfunk und im internet. vorträge im in- und ausland über thomas bernhard, witold gombrowicz, bertolt brecht, ludwig hohl, jean améry, pawel florenski, ferdinand ebner. preisträger beim 6. harder literaturwettbewerb 2000. rauriser förderungspreis 2004. seit 2007 mitglied der grazer autorinnen autorenversammlung (gav).
publikationen auswahl
steine und bausteine 1, berlin 2009. (avinus verlag)
steine und bausteine 2, berlin 2010. (avinus verlag)



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