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Von STIFTEN, SCHREIBMASCHINEN
und (H)EILIGEN TASTEN


Lange Zeit floss es aus meiner Hand. Auf jegliches Papier. Es floss direkt in Hefte, auf Notizblöcke, Servietten, Verpackungen, einzelne Papierbögen. Es floss direkt aus mir. Ich konnte nicht unterscheiden zwischen meinen Gedanken und den Wörtern auf Papier.

Ab dem Zeitpunkt, als ich begriffen hatte, wie Buchstaben aneinander gereiht werden, wuchs mir ein sechster Finger an der rechten Hand: Daumen, Schreibefinger, Zeigefinger, Mittelfinger, Ringfinger und kleiner Finger. Den Schreibefinger nannte ich auch Stift, Feder oder Kuli. Wollte ich ein und denselben Text mehrmals haben, musste ich ihn wieder und wieder aufs Papier malen. Fehler wurden durchgestrichen. Zu Betonendes unterstrichen.

Später im Gymnasium, wurden zum Kopieren Matrizen verwendet. Ich schrieb mit meiner Füllfeder auf das spezielle Papier, das für diese Art der Vervielfältigung vorgesehen war. Dann nach dem Vorgang mit der Walze, erschien meine Schrift wie durch ein Wunder so oft wie gewünscht in violetter Farbe auf gelblichen Papierblättern. Später wurde ein Fotokopierer in der Schule angeschafft – das machte die Sache noch einfacher.

Ich habe meine Schrift mehrmals willentlich geändert. Die Schlingen gefügig gemacht, Punkte in Kreise verwandelt, Unterschlingen besonders groß oder nur zur Hälfte ausgeführt. Die Rundungen der Nasale nach innen und nach außen gebogen, mit der Größe der Buchstaben experimentiert. Meinen Stil finden! Schwarze Tinte statt blauer.

Dann eine Schreibmaschine. Eine mechanische Reiseschreibmaschine. Abgelegtes Modell der Eltern. Dunkelgrüner Kunststoffkoffer mit schwarzem Griff zu Transportzwecken. Rot-schwarzes Farbband, schwarze Tastatur mit weißen Zeichen. Blatt einspannen, die Walze mit dem Rad an der Seite drehen, dass das Papier mit einem Schnarren herausfährt. Dann die erste Taste drücken – das Schnappgeräusch, wenn die Type mit dumpfem Schlag auf das Blatt Papier schnalzt. Dann das Klappern des sich langsam steigernden Arbeitseifers.

Maschinschreibkurs mit zwölf an der Volkshochschule. Wie viele Anschläge? Wenn eine Zeile vollgeschrieben ist, den Metallhebel an der Seite heranziehen, sodass die Walze wieder nach links und das Blatt eine Zeile höher transportiert wird.

Versuch eine elektrische Schreibmaschine zu benutzen, sie ist zu schwer. Und das Beige des Gehäuses zu fade.

Ende der 80er Jahre – mit dem Freund, einem Programmierer zusammen wohnend, zog der erste Computer in ein. Commodore thronte mit seinem dicken, schweren Bildschirm auf dem Schreibtisch. Beim Tippen ein anderes als das gewohnte Geräusch. Nur das Klappern der Tastatur und das Rauschen des elektrischen Gerätes. Kein Papier – das Material fehlt mir. Den Text in der Hand halten wollen – auf den Drucker angewiesen sein. Und auf gefüllte Druckerpatronen. Der größte Vorteil: Fehler löschen können! Ohne Spuren zu hinterlassen. Aber das Hebelgeräusch, das Geräusch der Type, das unmittelbar auf das Niederdrücken der Taste folgt und die Handbewegungen vermissend.

Lange Zeit literarische Texte nur mit der Hand verfassen können – später in den Computer eingeben, dort überarbeiten.

Mit dem Rechtschreibprogramm witzige Texte mit den Freundinnen verfassen, in dem wir Wortvorschläge des Gerätes akzeptieren. Den Rechner und den Drucker mit ihren Fehlleistungen als Experimentierwerkzeug verwenden.

Irgendwann die radikalste Schreibänderung: den Text direkt in das Gerät eingeben! Dazwischen auf den Bildschirm starren. Andere eigene Texte abrufen können. Noch später: das Internet! Die Recherche vom Schreibtisch aus. Das Schreiben wird ein noch einsameres Geschäft. Sich von diesem Gefühl immer wieder ablenken, indem man Mails abruft und Mails schreibt. Sich vom Arbeiten ablenken durch sehr verzweigte Suche im Internet.

Einen Laptop bekommen mit der Illusion nun überall schreiben zu können, nicht mehr in der Einsamkeit des leeren Zimmers zu versinken. Auf Reisen zu schreiben, auf der Wiese, unter Palmen. Ein Standgerät und einen Laptop haben – die Textdokumente nie dort haben, wo man sie braucht. Oder: nicht wissen, welches die Letztfassung ist. Disketten und Speichersticks verwenden, verlegen, verlieren, verfluchen.

Seit einiger Zeit wieder zum Stift zurückgekehrt. Eine alte Füllfeder hervorgesucht, einen weichen Bleistift gekauft. Schreibgeräte immer wieder unauffindbar. Notizen in verschiedenen Heften. Hefte nicht auffindbar. Dafür meinen Schreibefinger wieder gefunden. Textteile aus den verschiedenen Heften zusammensuchen, dann in den Computer tippen. Dabei gleich überarbeiten. Du brauchst ein Mac Book Air, für die Handtasche, sagen meine Kinder.

Vom Schreiben abgelenkt sein. Beim mit der Hand schreiben von den Menschen in der U-Bahn, im Café, in der Bibliothek abgelenkt werden. In der S-Bahn stehen müssen, nicht schreiben können. Immer wieder die Ablenkung vom Schreibprozess suchen, um nicht aus der Welt zu fallen.

In der Pandemie an den Computer gefesselt sein, mich an meine Schreibstifte, Federn, Bücher und Stifte klammern. Den Schreibprozess als Ablenkung suchen, um zeitweise aus der Welt zu fallen.

Karin [Seidner]


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