[zurück] | blättern | [weiter]


Rettung naht

Wie das Befangene aus den Fluten taucht, aber das Rettende auch. Wie es sich aufbringt gegen ein Geringeres, das unsere Gewohnheit ist und für ein Höheres, das unsere Unversehrtheit sei. Als wären wir selbst die Waagschale und die Menschlichkeit der Einsatz. So wägen wir das eine gegen das andere ab.

Auf der Zunge aber liegen uns Rechte, die wir von Grund auf haben. Und knapp unter dem Gaumendach Pflichten, die uns gründlich verfehlen. Fruchtwasser unserer Überzeugung.

So wachsen wir. Selbst ins Ungeliebte hinein. Selbst weitab von unseren Geliebten, wachsen wir. Und der Überdruss mit uns. Und ein merkwürdiges Durchhaltevermögen daraus.

Nach Wochen mutmaßlich, und nach Monaten bestimmt, haben wir schließlich unsere Maßlosigkeit neu zu bemessen. Von einem Meter Fünfzig spricht das Maßband, aber das ist selten richtig. Einfühlung ginge weiter, viel weiter. Der vielbesungene Menschenverstand folgt ihr willig. Bloß die Statistiken merken nichts davon, begraben derweil Hoffnung um Hoffnung.

Ganze Stadtviertel klingeln nach der Stationsschwester, die nicht mehr kommt. Der Luftraum wird eng und unsere Umsicht daher. In der Not verblasst die Vernunft eigenartig zum virtuellen Hintergrund einer Videokonferenz.

Auf den Schultoiletten die immergleichen Anrufungen an die Wände geschmiert. Keiner betrachtet sie mehr. Sämtliche Sorgenkinder haben ihr Zuhause besiedelt. Nun gehen Tage wie Stunden ohne Pause auf dem Schulhof. Die Klagen darüber türmen sich vor den Ämtern auf. Und nur manches wird, in der Art von gebrauchten Schutzmasken, wieder fallengelassen.

Neuerdings laden wir mit Vorliebe die Wissenschaft zum Tee. Erste Näherungen machen froh. Schon haben Labore die Kontrolle über unsere Genesung übernommen.

Und haben wir das Rettende nicht herbeigesehnt? Die Zuversicht ist mitgewachsen. Jede Immunisierung tilgt eine weitere Befürchtung. Gibt die Tanzfläche frei für ungeprobte Schritte. Für die Aufführung dessen, was wir aus den Einschränkungen geborgen haben. Wie Kinder, die Gemeinsamkeit buchstabieren lernen. Vertrauensvoll dem Zuruf der Nähe folgend. Nichts daran ist neu. Und alles ist es doch.

So schätzen wir, als hätten wir endlich begriffen, was auf der Waagschale lag, die Veränderung unserer Lage ein. Holen die Netze aus der Flut, erzählen einander, von Masken unverhohlen, was wichtig ist im Wechsel der Gezeiten. Und nie war ein Händedruck wärmer.

Sofie [Morin]


[zurück] | blättern | [weiter]


startseite | litera[r]t | autor*innen | archiv | impressum