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Nachtschatten im Frauenhaarmoos
Phytopoetische Dialoge



Kleines Habichtskraut (Hieracium pilosella)

Greifvögel. Unsere Habichtsaugen und wie wir sie zelebrieren, ihren bloßen Blick. Dass er sich auf Blattunterseiten richtet, Körperregionen, deren Anblick wir gerade noch als schön empfinden. Und: weißt du noch, wie wir uns an diesem "gerade noch" berauschten?
Ulrike Titelbach

Hallo, du kleines Kraut! Wenn ich dich suche, dann wird mir als Erstes dein Rauch anempfohlen. Steilwilden Vogelflug in deinem Namen angerufen, doch auch ein Mausohr sagen sie dir nach. Und ich bin mit allem einverstanden, all deinen Namen, den Zottelbienen, die dich bestäuben, mit den behaarten Rosetten, die du ausbreitest und ihrer libidinösen Ladung. Immer der unterschwellige Geruch von Tang. In rauschender Stille tauchst du mich in Schwaden inwendigen Glücks.
Sofie Morin

Wovon sie sprechen und wovon sie schweigen: dass deine Blüte eins sei nur zum Schein. Darin ein Blütenstand mit ungeahnten Möglichkeiten. Gleißendes Gelb. Wie es die wilde Glut verstohlner Lüste deckt. (1) Mein habichtsscharfer Blick erkennt: acht mal acht vormännliche Blüten. Und wie ihr Griffel sich durch die Antherenröhre schiebt. Während wir tanzen, still bewegt. Im Rausch der Zeit.
Ulrike Titelbach



Dringliche Drachenwurz (Dracunculus vulgaris)

Jenseits des Kartesischen Kreidekreises und wahrlich weit entfernt von jedem weiß wächst etwas Großes aus der feuchten Erde. Glatt und metallisch schiebt es sich empor. Aus Wurzeln, die ganz tief und tiefer noch (ins Innerste von Allem?), was wenn sie bis ans Feuer reichen?
Ulrike Titelbach

Wo Glut den Treibsand schmilzt. Zu Glas, auf dass alles seine Prägung verliert. Die sichtbare und die andere. Nichts ragt mehr auf. Wo Texturen wundgeschliffen und die Flugfähigkeit jedwede Hoffnung auf Stundung durchtaucht, dort sind die Tragflächen meiner Vernunft recht schmal geworden. Die Liebe aber umso weiter. Auf Drachenflügeln überwindet sie Jahrhunderte.
Sofie Morin

Das Blut ist Lava und die Lungen durchströmt ein immer heißer Atem. Dass weit die Flügel sich entfalten, in mir und hinter meinem Rücken, berühren jeden Horizont. Dann bin ich eins, ein Feuer und ein Ton.
Ulrike Titelbach

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(1) aus Friedrich Schillers Maria Stuart

Sofie [Morin] | Ulrike [Titelbach]


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