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Aufzeichnungen von Regenstunden

Hoch oben über den Menschen öffnet der Himmel seine Pforten und das strömende Nass ergießt sich wie aus Eimern auf die Menschen herab. Von ganz weit oben sehen sie wie Ameisen aus, werden plötzlich hektisch. Benehmen sich, als ob sie schmelzen und davongeschwemmt werden könnten. Die Ameisenmenschen mögen den Regen nicht. Sie stäuben auseinander wie ein erschrecktes Pack Rehe. Blitz und Donner, neugierig recken sie sich und legen die Köpfe in den Nacken. Dann fallen die ersten Tropfen und plötzlich sind Blitz und Donner nicht mehr so ansehnlich, wie sie es noch aus sicherer Entfernung gewesen sind, denn wenn es direkt über ihren Köpfen kracht, dann bekommen sie es mit der Angst zu tun. Und die, die Glücklichen, die Trockenen, die Zuhausegebliebenen, die lächeln zufrieden beim Fenster hinaus.

Draußen im Regen, da sind alle plötzlich ganz anders zueinander. Viel enger als es ihnen lieb ist, zwängen sie sich unter die Balkone und Vorsprünge ins Trockene, zusammengepfercht wie Tiere. Und dann, wenn sie erst einmal trocken sind und wieder denken können, dann blicken sie sich verstohlen um und wissen nicht so recht, wie ihnen geschieht. Manche ganz durchnässte grinsen sich vielleicht für einen Moment zu, andere stieren hinaus ins Unwetter, als ob sie damit die Sonne heraufbeschwören könnten. Und ohne es auszusprechen, fühlen sie sich alle erhaben in ihrem wohligen Unterschlupf, dann liegt in der feuchten Luft ein Gefühl der Gemeinschaft und gemeinsam schaut man herab auf die nassen Hunde, die sich draußen tummeln und keinen Unterschlupf den ihren nennen können. Die einen oder anderen kommen, wenn ihnen danach ist, ins Gespräch und dann wird getratscht über Belangloses. Der eine Straßenfeger, der andere Bankier – trocken sind sie beide und als trockener redet es sich gut über die armen, nassen Schweine.

Später, wenn der Himmel sich ausgetobt hat und nur noch vereinzelte Tropfen ihren Weg aufs Pflaster finden, schauen die Menschen dann blinzelnd nach oben und gehen wieder ihrer Wege. Zum Abschied nickt man den anderen wohlwollend zu.

Und der Himmel lächelt zufrieden.

Leon [Sperrer]


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