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Sprich schneller

Sprich schneller; du bist jetzt jünger als die,
die du sein wirst; bist jünger
als dein Kind – und noch weißt du nicht
was Anwesenheit, Poesie und Armut bedeuten.
Helles Wasser hat die Felder überschwemmt; der lange Regen
schüttet sich durch das hügelige Anstandsland.
Jeder Regen ist Ankunft, Hunderte Leuchtkegel
scheinen unter uns zu kreisen, die Jahre der Freude und Hoffnung
mit dem Scheinwerfer zu streifen.
Du weißt, was Glück ist, eine so flüchtige Empfindung,
dass sie den Takt des Herzens und alle Gegenwart überhörbar macht.
Du hattest gelacht unter Freunden, in einem altmodischen Laden,
wo die Münzen langsam die Besitzer wechselten.
Du hattest Paris gesehen und London und, an Mauern, in den Gassen,
fröhliche Alte, die nichts lieber waren als sie selbst,
im Alltag sitzend.
Du hast auch kleine Orte gesehen, hübsche Dörfer,
junge Leute voll mit Wissen um das Kommende.
Aus den Puppen der Kinder glotzten die toten Augen
schwarzer Teufel, leer wie die allzu gezähmter Tiere.
Du nahmst Steine in die Hand, mitten in der Stadt, sie wogen schwer
und es kam vor, dass du für sie eine ohnmächtige Zärtlichkeit empfandest
– für sie und für die unverrückbare Eiche, für die,
die nicht mit dir waren, und für das Häusermeer,
das zwar bunt ist, aber fern von Dichtung
– so ohnmächtig, als wären wir alle Kinder
derselben Eltern, die nimmer beisammen sind
und nur auf die langen Augenblicke des Hörens
in den warmen Gefängnissen der Erinnerung angewiesen.
Sprich lauter: du bist noch nicht alt,
die Entzauberung braucht Jahre der Vereinbarung.
Du musst nicht wählen, musst nur die Hoffnung kommen lassen.
Du hast Zeit.
Die Engel der Fülle aus fruchtbaren Ländern
werden dir mit zarten Lippen Geschichten erzählen, du darfst gehen
lange Briefe lesen und kurze Gedichte schreiben.
Spricht schneller. Verlange jeden Vers.

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Widerspenstige Aneignung von Adam Zagajewskis "Sprich gelassener"

Katharina [Körting]


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