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Weißes Land

Wir fahren. Es klingt wie ein Ruderschlag auf dem Asphalt. Die Stimmen und das Boot.

"Du, wir reisen."

Ihre Stimme ist ganz nah an meinem Ohr. Kurz und zitternd wie das Licht der Scheinwerfer, das über die dunklen Gärten fällt. Der Wagen folgt den Windungen der Straße. Ihre Lippen zittern, als wolle sie noch etwas sagen. Atemwolken stehen zwischen uns. Ihre Nähe ist selten und dann wie etwas, das lange unter Schnee gelegen hat und dann ist es plötzlich vorbei. Die Nacht verrät davon nichts.

"Warum dürfen wir uns nur heimlich treffen?"
"Weil wir nicht die gleiche Hautfarbe haben. Du und ich."

Der Anfang ist vergessen. Ich weiß nur, wir reisen nicht. Wir legen eine Strecke zurück.

Die Zeit hat etwas Stilles bekommen. Ihre Hände ziehen einen strömenden Bogen über meine Haut. Im Fensterglas entrückt das Halbrund der Dörfer, die Korallenschatten der Wälder, die hohe Nacht aus Mauern. Das Motorengeräusch erstirbt. Unsere Lippen neigen sich. Darunter sinkt ihr Körper in die Tiefe. Er lässt mir nie etwas in den Händen. Das hat etwas Tröstliches, wenn man weiß, dass man sich eigentlich nicht sehen darf. Ich träume manchmal einen toten Traum, einen Garten aus Schnee, in dem sie umhergeht und am nächsten Morgen kann ich den Abdruck ihres Fußes im Schnee berühren.

"Du, wir reisen."

Der Himmel wechselt die Sterne. Die Schatten der Füchse treten hervor bis an den Wagen.

"Ich habe noch niemals so viele von ihnen gesehen", sagt sie. Dabei lächelt sie.
"Es muss das Jahr sein. Ein besonderes Jahr. Das Jahr der Füchse."
"Vielleicht."

Sie wirft ihre langen Haare zurück in die Sterne, und alles ist gesagt. Unsere Augen starren in zerstückte Hügel. Wir fahren. Fuchsschatten
weichen in das Dunkel gebrochenen Lichts. Es ist kalt. Ihr Gesicht verschwindet zwischen dem hochgestellten Kragen ihrer Jacke.

"Wann?", höre ich meine Stimme, viel zu früh.

Sie schüttelt den Kopf.

"Ich fürchte mich. Ich fürchte mich so, dass sie uns entdecken. Und wenn wir warten? Wie die Füchse. Lass uns diesen Winter wie die Füchse sein."

Weißes Land, denke ich. Das Land wird weiß sein, wenn wir uns wieder sehen. Bis dahin tragen wir Zeichen.

Daniel [Mylow]


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