Lyrik fußt generell auf den Koordinaten von Zeitlosigkeit und Augenblick. Einerseits wird in der Lyrik ein poetisches Kontinuum produziert, das den Zug zur Ewigkeit hat, andererseits ist dieser poetische Strom ständig angehalten durch den Augenblick. Gedichte werden zu einem Schüttmaterial, das zu gewissen Zeitpunkten an gewissen Orten in den Lyrikstrom eingebracht wird.
In der literarische Szenerie sind es vor allem Jahrbücher, die diese beiden Grundzüge fürs erste vermischen. Im Idealfall stiften die Autorinnen einer sprachlichen Gegend ihre Gedichte aus einem konkreten Jahr für eine Jahrgangs-Anthologie, die einen ersten Überblick über ein vergangenes Jahr dokumentieren soll.
Im Projekt Verniedlichte Höhe versucht Helmuth Schönauer als lyrisches Ich im Alleingang einen ganzen Jahresablauf poetisch zu bearbeiten. In seiner Arbeit wird das Jahr 2019 im Sinne einer poetischen Chronik abgegriffen und in 240 lyrische Augenblicke zerlegt.
Das lyrische Ich befindet sich dabei an der Peripherie des Jahresgeschehens. Was bei ihm an Weltgeist ankommt, ist tatsächlich geschehen! Während der Transformation zu Lyrik verlieren die Themen ihre schreiende Schärfe, und sie werden abgeschliffen für ein unbegrenztes Zeitkontinuum. Der Ausdruck Abgehockte Nistplätze deutet auf diesen Vorgang hin. Während alle noch mit dem Auffliegen aussterbender Vogelsorten beschäftigt sind, kümmert sich das lyrische ich um diese Nistplätze, die bereits ausgekühlt sind.
Das Jahr 2019 wird unter dem beschwichtigenden Titel Verniedlichte Höhe dokumentiert. Dabei handelt es sich um eine Lebenshaltung, die jegliche Höhenangabe vermeidet, um der Höhenangst zu entkommen.
Die 240 Partikel sind Teil einer Endlosschleife, mit der das Jahr umwickelt ist. Die Segmente korrespondieren untereinander und ergeben bei jedem Lesen einen anderen Zusammenhang. Am Ende bleibt eine Vorgangsweise, die die einzelnen Abenteuer des lyrischen Ichs überdauert. Ein Jahr kann ausreichen, um die Unsterblichkeit zu erahnen.
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