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Der Bachmannpreis und der Hund meiner Frau

Jeden Tag gehe ich mit dem Hund meiner Frau spazieren und dennoch habe ich den Bachmannpreis noch nicht gewonnen. In einem Interview mit der Bachmannpreisträgerin 2022 Ana Marwan habe ich gehört, dass es nützlich sein könnte, lange Spaziergänge mit seinem Hund zu machen, um Ideen für eine Geschichte zu sammeln. Sie habe sich wie eine Jägerin und Sammlerin von Ideen gefühlt, sagte der Sprecher des Beitrages und die Autorin selbst fügte hinzu, dass sie Notizen über ihren Hund gemacht hätte, um einen Text über diesen zu schreiben.

Später habe sie dann herausgefunden, weil sie in ihrem Pool eine Wechselkröte fand, dass der Hund in ihrer Geschichte eigentlich nichts verloren hätte und so musste sie ihn herausstreichen. Später heißt es in dem Bericht, dass während der Lesung des Textes der Blitz des Witzes plötzlich und unerwartet durch die melancholische Wolkendecke gefahren sei, stellte der Berichterstatter fest und die Autorin fügte hinzu, dass unser Drang im Diesseits witzig sein zu wollen, ein Symptom sei, weil in der Welt nicht alles in Ordnung wäre. Und sie dächte, dass man im Himmel kein Bedürfnis hat Witze oder Kunst zu machen.

Dieser Bericht provozierte mich, mehrere Fragen zu stellen.
Erstens: Sollte man auf Grund des Berichtes den Text von Ana Marwan mit dem Titel Die Wechselkröte lesen?
Zweitens: Hilft das Spazierengehen mit einem Hund wirklich, den Bachmannpreis zu gewinnen?
Drittens: Welche Geschichte würde ich über den Hund meiner Frau schreiben?
Viertens: Warum kann sich Ana Marwan einen Pool leisten?
Fünftens: Braucht man im Himmel wirklich keine Witze?

Zur ersten Frage: Will man über einen Text sprechen, ist es natürlich hilfreich, ihn zu lesen. Und ich habe ihn gelesen, mir einen Überblick verschafft. Was ich sagen kann, ist, dass die Figuren, die jenseits der ICH-Protagonistin auftauchen, Projektionsflächen eines sich selbst bespiegelnden Ichs sind. Egal, ob es sich dabei um einen Postboten, einen Gärtner, einen Poolmann, eine Freundin, einen Verkäufer, einen Krötenmann, einen Frauenarzt und einen Professor handelt, denn ein solcher darf nicht fehlen - man beachte: alles männliche Figuren, nicht gegendert und möglicherweise heterosexuell. Und dann gibt es da noch eine Schwester, einen Mann und schließlich ein Kind. Und es sind immer die Kinder, die einen spiegeln und es sind immer die Kinder, die existentielle Fragen aufwerfen (beinahe hätte ich gesagt, in Texten von und über Frauen), oder wie es André Heller einst formulierte: Die Kinder, die Kinder, die Kinder, die Kinder, die Kinder sind immer aus Wien.

Das Ich im Krötentext, spiegelt sich also in zwei gesellschaftlichen Funktionen, im Beruf der Figuren, was uns direkt zu Kafka führt und in den Familienrollen, die uns in den Abgrund der Psychologie des bürgerlichen Daseins, zu Freud und den Neurosen der Kleinbürger*innen führt, die Land auf und Land ab in ihren Romanen von ihren Problemen erzählen, von ihren Beziehungsverlusten, ihren Kindheitstraumen und ihrem unbefriedigten Leben zwischen Büro und Heimarbeit.

Schließlich erzählt das ICH entlang eines möglichen Kinderlebens, dessen Abtreibung misslingt, ihre Fantasien über das Kommende und es ist keine Utopie darin zu finden, sondern nur ein Absterben bevor es noch ein Leben gab. Und ich denke, es ist wieder eine dieser Geschichten, deren Kern nicht die Welt ist, sondern das verlorene ICH in ihr und keine Perspektive, die Hoffnung gestorben, bevor noch irgendetwas begann und ich frage mich, wäre es hilfreich den Text zu lesen?

Und ich muss die Antwort geben, die ich immer gebe bei ICH-Bespiegelungen: Man kann, aber man muss nicht, denn in ihnen finden wir keine Antworten auf die Misere der Welt, sie sind ein Wehklagen, als wäre jemand gestorben, der/die seine/ihre Bedeutung nur in sich selbst gesucht hat und keine Anklageerhebung, als wolle er/sie rütteln an den Grundfesten der Welt, bevor er/sie stirbt. Wir sind laut Ana Marwa, was wir sind, Arbeiter und Familienangehörige. Was sie jedoch verschweigt und negiert in ihrem Text, ist die Welt, die uns deformiert und zerstört, eine kapitalistische, kleinbürgerliche Welt, die von Geld, Sex und Drogen angetrieben wird. Was für eine Überraschung! Darüber muss uns eine Vierzigerin aufklären. Wie erbärmlich, dass es tatsächlich eine Jury im deutschsprachigen Raum gibt, die diese Erkenntnis nicht nur für neu, sondern auch als große Poesie verkauft, auch wenn ich folgende Sätze durchaus schön finde: Es tut sich eine Lücke auf bei dem Poolmann. Oder: Ich ziehe mich jeden Tag an, weil jeden Tag eine zwar kleine, aber durchaus realistische Möglichkeit eines Besuches besteht.

Nun zur zweiten Frage, die für mich wesentlich einfacher zu beantworten ist, zumindest aus der Perspektive eines Schreibers, der mit einem Hund seiner Frau, seit einem Jahr regelmäßig längere Spaziergänge unternimmt. Die Antwort darauf ist: Spazierengehen mit einem Hund, auch wenn es der seiner Frau ist, hilft nicht den Bachmannpreis zu gewinnen, denn was ich gehört habe über das Bewerbungsverfahren und die Preisvergabe spiegelt die Misere des heutigen Literaturmarktes wieder. Und ich spreche aus eigener Erfahrung, denn auch ich habe mich einmal, wie für so vieles andere in diesem Land, beworben und auf meine Einsendung nicht einmal eine Absage erhalten.

Deshalb würde ich mich freuen, wenn die Verlage und die Juror*innen ihre Einladungspolitik offen legen würden, denn was ich aus dem Mund eines Preisträgers gehört habe, ist, dass die Verlage Vorschläge unterbreiten und die Juror*innen auswählen. Interessant wäre zu wissen, ob tatsächlich einmal einer oder eine durch eine Blindbewerbung bei den Juror*innen zum Zug gekommen ist oder jede und jeder nicht nur aus dem eigenen Pool von Schreibenden Bekannten, Freund*innen und Verwandten schöpft. Manchmal hat man das Gefühl, der Markt wolle unter sich bleiben. Manchmal kommt es mir vor, als würde sich der Markt in Klagenfurt selbst feiern, Bestätigung für etwas suchen, was längst verloren gegangen ist, der Markt sich eine Bedeutung geben wollen, die er nur mehr in der eigenen Fantasie hat. Damit mich niemand falsch versteht: Ich war immer und bin immer noch für das Verteilen von Preisgeldern. Dafür bin ich frei nach Brecht, immer zu haben, der es einmal auf den Punkt brachte: Gebt ihnen Geld, den Autor*innen meinte er. Und ich neide niemandem das Preisgeld, aber mehr Bedeutung kommt diesem Preis auch nicht zu. Und jedem oder jeder, der/die sich für den Bachmannpreis interessiert, dem sei Wolfgang Herndorfs Text Klagenfurt aus dem Jahr 2004 ans Herz gelegt, der seine theoretischen und praktischen Erfahrungen mit diesem Preis für deutschsprachige Literatur so wunderbar auf den Punkt bringt, wenn er schreibt: Klagenfurt liegt irgendwo in Österreich.

Wie die Geschichte über den Hund meiner Frau lauten würde? Das ist einfach zu beantworten: sitz, platz, warten, bleib, such, bring, nein, aus.

Warum sich Ana Marwan einen Pool leisten kann, kann ich nicht beantworten, aber ich werde sie fragen, sobald ich ihre Mailadresse herausgefunden habe und werde dann darüber berichten. Für mich, obwohl ich trotz meiner Schriftstellerei einen Brotberuf ausübe, der nicht so übel bezahlt ist, kann mir keinen Pool leisten. Aber das wahrlich ist eine andere Geschichte.

Und nun zur letzten und alles entscheidenden Frage: Warum, in Gottes Namen sollte man im Himmel keine Witze benötigen. Marlene Dietrich, habe ich mir sagen lassen, habe einmal gesagt: In den Himmel wolle sie nicht, dort seien ihr viel zu viele Menschen. Dem muss ich voll inhaltlich zustimmen und dem wäre nur hinzuzufügen, wenn dort vor allem Menschen wären, man vielleicht tatsächlich ohne Witze durchkommen würde, aber das nach Nestroy wohl eher mehr Leut' als Menschen im Himmel sind, wird es ohne Witze und Humor nicht gehen. Wenn es tatsächlich am Ende so etwas wie einen Himmel geben sollte, dann werden wir für die Ewigkeit in einem überbevölkerten Lebensraum mehr Humor benötigen, als die meisten von uns dorthin mitbringen können.

Kurz und gut: Die Wechselkröte ist ein Text, den man lesen kann, wenn man will. Spazierengehen mit einem Hund hilft nicht, den Bachmannpreis zu gewinnen. Ich glaube nicht an die Wirkmächtigkeit von Hundegschichten. Pools werden überbewertet. Und ich hoffe inständig, dass Gott Humor besitzt.

Raimund [Bahr]



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